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Stark wachsender Online-Einkaufstourismus bedroht Schweizer Detailhandel

  • Autorenbild: Prof. Dr. Thomas Rudolph
    Prof. Dr. Thomas Rudolph
  • 4. März
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 5. März


"Der Schweizer Detailhandel muss sich strategisch neu aufstellen, um langfristig zu überleben."






Innerhalb von nur drei Jahren wuchs der Marktanteil ausländischer Onlinehändler in der Schweiz um 44 Prozent. Das ergab eine Studie der Universität St. Gallen. Prof. Dr. Thomas Rudolph, Direktor des Forschungszentrums für Handelsmanagement, spricht im Interview über die Gefahren für den einheimischen Detailhandel und was sich ändern müsste.


Herr Professor Rudolph, ihre neuste Studie «Online-Einkaufstourismus Schweiz» zeigt, dass der stationäre Einkaufstourismus mit sieben Milliarden Franken nach wie vor hoch ist, aber an seine Grenzen kommt. Dagegen wächst der Online-Einkaufstourismus auf mittlerweile 5,2 Mia. CHF überproportional. Was sind die Gründe für diesen enormen Zuwachs?

Das starke Wachstum des Online-Einkauftourismus mit 15 Prozent jährlich hat mehrere Gründe. Zum einen kaufen die Konsumenten generell verstärkt online ein. Da hat die Pandemie einen Grundtrend verstärkt und weiter stabilisiert. Der zweite Faktor ist, dass zusätzliche Online-Anbieter aus dem Ausland dazugekommen sind. Neben dem stärksten Online-Händler Amazon, mit einem Marktanteil von 10 Prozent beim E-Commerce in der Schweiz, sind das beispielsweise chinesische Anbieter wie AliExpress und Shein. Mit Temu, ebenfalls aus China, ist ein weiterer höchst ambitionierter Konkurrent dazugekommen, der mit preisagressiver Werbung und Gamification-Elementen im Schweizer Markt aktiv ist. Der dritte Faktor ist die aktuelle Konsumstimmung: Viele Konsumenten wollen oder müssen sparen, achten also stärker auf möglichst niedrige Preise.


Sie kommen in ihrer Studie zum Schluss, dass der Online-Einkaufstourismus die wesentlich grössere Bedrohung für die Schweizer Händlern darstellt als der stationäre Einkaufstourismus. Haben die Schweizer Retailer den Online-Handel verschlafen?

Nein, das glaube ich nicht. Sie haben auch in den vergangenen drei Jahren insgesamt ein Wachstum erzielt. Mittlerweile gibt es aber mehr Händleralternativen aus dem Ausland, die günstiger sein können, weil sie gegenüber einheimischen Anbietern niedrigere Kosten haben. Das geht über die Löhne und Zusatzleistungen für Mitarbeitende im Detailhandel, die bei uns bekanntermassen wesentlich höher sind, hinaus. Beispielsweise Temu hält einen Marktanteil von 4,6 Prozent und musste in der Schweiz bis zum vergangenen Jahresende keine Mehrwertsteuer bezahlen. Das wurde erst anfangs 2025 behoben. Für chinesische Anbieter gelten bisher aber auch viele weitere Anforderungen nicht, etwa die Offenlegung von Inhaltsstoffen für ihre Produkte, der Nachweis einer hier üblichen Lieferantenzertifizierung oder Bestimmungen zum Arbeitsschutz von Kindern. Die EU hat jetzt verschiedene Verfahren eingeleitet, um das zu verbessern und wahrscheinlich auch Sanktionen auszusprechen. In der Schweiz hat man sich auch dem Thema angenommen. Fakt ist aber, dass diese ausländischen Händler ausserhalb von Europa wesentliche Wettbewerbsvorteile haben, weil sie in einer rechtlichen Grauzone operieren. Auch werden beispielsweise die Pakete von China im Hinblick auf die Transportgebühren subventioniert. Weit über 70% der Pakete kommen per Luftfracht, was auch ökologisch nicht zu rechtfertigen ist.



Der Schweizer Detailhandel steckt in einem schwierigen Marktumfeld. Dazu prognostiziert der UBS Retail Outlook für 2025 gerade mal ein Umsatzwachstum von 0,6 Prozent. Wie können Schweizer Detailhändlern gegenüber den ausländischen Anbietern wieder Terrain gewinnen?

Von der Kostenstruktur her haben die Händler aus dem Ausland einen Wettbewerbsvorteil, der nicht zu beseitigen ist. Vergleichbare Produkte sind in der Schweiz teurer, weil unsere Kostenstruktur eben eine ganz andere als in den asiatischen Ländern ist.  Wenn Schweizer Händler versuchen, ihre Kosten zu reduzieren, um preislich vielleicht 10 bis 15 Prozent günstiger zu werden, macht das wahrscheinlich im Wettbewerb keinen entscheidenden Unterschied, gefährdet aber ihr nachhaltiges Wirtschaften. Sie brauchen daher andere Ansätze der Differenzierung. Das kann beispielsweise über einzigartige Sortimente laufen, über Produkte, die lokal produziert oder angeboten werden. Das kann auch in Kombination oder in erster Linie über Serviceleistungen gelingen, etwa sofortige Verfügbarkeit oder besonders schnelle Lieferung. Dafür sind viele Schweizer Konsumenten bereit, mehr zu bezahlen, weil es ihren Wünschen über den Preis hinaus entgegenkommt. Die Schweizer Händler müssen dafür ihr Profil und ihr Geschäftsmodell überdenken und bei Bedarf neue Ressourcen und Kompetenzen aufbauen. Ich sehe für viele Händler die Notwendigkeit, diesen Transformationsprozess aktiv und schnell voranzutreiben. Über die Preise den Wettbewerb zu gewinnen, das wird nahezu unmöglich sein.


Im Retail Outlook 2025 wird betont, der Omnichannel-Ansatz sei entscheidend, vor allem für Non-Food-Anbieter. Ist das die Lösung?

Das ist ein vielversprechender Ansatz, den auch viele Händler bereits seit Jahren vorantreiben. Nur verdienen sie damit oft kein Geld. Das heisst, der zusätzliche Online-Distributionskanal erhöht ihre Kosten weiter, insbesondere bei der Auslieferung. Nehmen wir zum Beispiel den Lebensmittelhandel. Wenn ein Schweizer Lebensmittelhändler zusätzlich auch online verkauft, kostet die Auslieferung jedes Online-Lebensmittelpakets wahrscheinlich über 30 Franken. Diese Liefergebühr ist der Kunde nicht bereit zu bezahlen, so zahlt der Händler drauf. Wenn der Omnichannel-Ansatz rentabel sein soll, braucht es Ansätze, um die Lieferkosten zu senken. Beispielsweise holt der Kunde die bestellte Ware doch im Geschäft ab oder wenigstens an einer Paketstation an einem nahen gelegenen Bahnhof oder Parkhaus. Dieses Modell, «Click & Collect», ist ein praktikabler Kompromiss zwischen Bequemlichkeit und Kostenbewusstsein. Man könnte hier zudem mit dem Umwelt- und Klimabeitrag argumentieren, weil dadurch Lieferfahrten reduziert werden. Der Omnichannel-Ansatz muss also gut konzipiert und kalkuliert werden, sonst wird er zum hohen Verlustbringer, wie prominente Beispiele immer wieder zeigen.


Wird das Wachstum des Online-Einkaufstourismus in Zukunft so weitergehen? Oder sehen Sie Trends, welche dieses Wachstum bremsen könnten?

Aus meiner Sicht hängt es in erster Linie von unserer Konjunkturlage ab, wie preissensibel die Kunden also sind. Wollen oder müssen sie weiter sparen, wird der Online-Einkaufstourismus weiterhin an Bedeutung gewinnen. Angesichts der aktuellen Lage in der Schweizer Wirtschaft und auch der im Ausland wird die etwas gedämpfte Konsumstimmung wohl noch einige Zeit anhalten, vermutlich noch bis ins nächste Jahr. Zum Leid der Schweizer Detailhändler wird der Online-Einkaufstourismus wahrscheinlich weiter steigen. Gleichzeitig gibt es Gestaltungsmöglichkeiten, etwa bei der Gesetzgebung. Werden chinesische Anbieter, die in der Schweiz aktiv sind, den gleichen gesetzlichen Anforderungen wie unsere Detailhändler unterstellt? Mit anderen Worten: Werden die Spiesse gleich lang gemacht, damit der Wettbewerb fair ist? Daneben können auch die Schweizer Händler sich klarer differenzieren und damit dem Trend entgegenwirken. Auch könnten Lieferschwierigkeiten oder steigende Transportkosten das Wachstum hemmen.


Viele Schweizer Detailhändler, vor allem die kleineren, kämpfen mit der aktuellen Marktsituation. Sie kritisieren die strengen Vorschriften und das Vorgehen der Wettbewerbsbehörde, zum Beispiel im Zusammenhang mit wettbewerbsfördernden Absprachen. Wie beurteilen Sie die Wettbewerbssituation in der Schweiz?


Der stark zunehmende Online-Einkaufstourismus ist für den Schweizer Handel eine schwierige Herausforderung, bei der er hinsichtlich der Anbieter aus China benachteiligt ist. In den vergangenen zehn Jahren hat der Schweizer Detailhandel circa 5,2 Mrd CHF Umsatz an ausländische Online-Händler abgeben. Das war für einige existenziell und führte zu Entlassungen und Geschäftsaufgaben im Detailhandel. Deshalb mein Appell: Der Gesetzgeber muss erstens für einen fairen Wettbewerb sorgen und der Detailhandel muss sich zweitens strategisch neu aufstellen. Eine Umpositionierung ist in vielen Betrieben zwingend notwendig, um langfristig zu überleben.

 

Meiner Meinung nach funktioniert der Wettbewerb für den stationären Handel bei uns. Wir haben in Bezug auf Grösse und Profil verschiedene stationäre Händler, die in einem intensiven Wettbewerb zueinander stehen. Und wir haben eine Kartellgesetzgebung, die auch in der Vergangenheit durchaus eingeschritten ist, wenn Monopole hätten aufkommen können. Allerdings haben wir nun die neuen Online-Anbieter aus China, die den Detailhandel, aber auch die Wettbewerbsbehörde herausfordern.


Wie ist die Schweizer Marktsituation im Vergleich mit dem benachbarten Ausland?

Im deutschen Lebensmittelhandel haben wir einen brutalen Preiswettbewerb. Hier könnte man auch einmal diskutieren, ob dieser für etliche Händler ruinöse Preiskampf für die Konsumenten langfristig vorteilhaft ist. Denn das geht zulasten der Arbeitsbedingungen, und der Inhaltsstoffe, weil der Preiswettbewerb so ruinös ist. Was ist dann noch in der Schokolade drin? Niedrige Preise lassen sich nicht allein durch einen höhere Effizienz erreichen, sondern gehen in Deutschland schon heute auf Kosten der Qualität. In Österreich, von der Grösse her mit der Schweiz vergleichbar, muss man sich fragen: Was ist da noch übrig vom lokalen, heimischen Handel? Die Antwort ist: Nicht mehr viel. Da sind wir in der Schweiz noch in einer guten Situation, müssen aber sehr aufmerksam sein, um nicht ebenso diesen Weg zu gehen. Somit stellt sich die Frage: Wie kann sich der heimische Schweizer Detailhandel halten, ohne einem ruinösen Preiskampf zum Opfer zu fallen?



Prof. Dr. Thomas Rudolph ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre und Marketing an der Universität St.Gallen, Direktor des Forschungszentrums für Handelsmanagement (Institute of Retail Management IRM-HSG) und Direktor des Gottlieb Duttweiler Lehrstuhls für internationales Handelsmanagement. Er ist u.a. Gründer des Retail-Lab an der HSG, einem Partnerschaftsprogramm mit rund 25 Unternehmen aus Handel und Industrie und Autor der Studie zum Online-Einkaufstourismus Schweiz 2024.


Link zur Studie: Online-EKT Schweiz 2024


 
 
 

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