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Selbstständigkeit

 

«Wir Unternehmer müssen immer flexibel sein, die Politik ist es bisher zu wenig»






Manchmal, wenn ihre Gedanken beim Schneiden oder Färben kurz einmal abschweifen, blickt Medina Arnold über ihren Coiffeursalon – und realisiert plötzlich wieder voller Stolz: «Das ist jetzt mein kleines Reich, das habe ich mir aufgebaut.»

Sie gehört zu den 679 000 Schweizer, die nach der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung des Bundesamts für Statistik selbständig arbeiten. Das entspricht 14 Prozent aller Erwerbstätigen. Medina Arnolds Geschäft, das sich auf Trendfrisuren für eine weibliche Kundschaft spezialisiert hat, ist erfolgreich angelaufen. Doch manches macht der Gründerin auch Sorgen.


«Ich habe mehr als 20 Jahre als Angestellte verschiedener Coiffeure in der Stadt Zürich und Umgebung gearbeitet. Mich danach selbstständig gemacht, anfangs nur als Untermieterin in anderen Salons, um meine Kosten und das finanzielle Risiko zu begrenzen», erinnert sie die 44-Jährige, die ursprünglich aus Winterthur stammt. Schliesslich wagte sie, mit praktischer Unterstützung durch eine Kollegin aus der Branche, die Eröffnung ihres eigenen Salons. «Am Anfang waren noch nicht alle Lampen angeschlossen, fehlten noch die Couch im Wartebereich und manches Produkt. Aber jetzt ist alles, wie ich es mir vorgestellt habe.»



Weko-Verfahren gegen Lieferanten


Schneiden, Waschen und Föhnen kostet bei ihr für lange Haare ab 136 Franken, Färben oder Strähnen für den ganzen Kopf ab 179 Franken. «Auch wenn es natürlich wohlhabende Leute gibt, ist das doch für die meisten meiner Kundinnen viel Geld, zumal sie alle vier bis sechs Wochen wiederkommen», sagt Medina Arnold selbst. «Aber ich werde nicht reich damit.» Schon die Salonmiete inklusive der Nebenkosten für Wasser und Strom ist beträchtlich, dazu die Kosten für die Produkte und ihr Lohn. Dazu kommen aber auch die Honorare für den Treuhänder, der sie bei der Buchhaltung unterstützt, sowie für gelegentliche rechtliche Beratung. «Selbst als Coiffeur bin ich vielen juristischen Unklarheiten und Risiken ausgesetzt. Damit hatte ich nicht gerechnet.»


So hatte die Wettbewerbskommission (Weko) vor einigen Jahren ein Verfahren gegen mehrere ihrer Lieferanten eingeleitet. Den Herstellern von Kosmetik- und Parfümprodukten war vorgeworfen worden, gegen das Kartellgesetz verstossen zu haben. Konkret hätten sie sich innerhalb ihres Verbandes über Produktpreise und bestimmte Geschäftszahlen ausgetauscht sowie ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinheitlicht. Das dreijährige Verfahren wurde schliesslich teilweise eingestellt und führte zu keiner Sanktionierung, aber doch zu einer 185-seitigen Verfügung und 585‘814 Franken Verfahrenskosten. «Da bekommt man es schon mit der Angst zu tun, wenn man das hört», sagt Medina Arnold. «Grosse Unternehmen haben ihre Rechtsabteilungen und können die Kosten vielleicht verkraften. Als Kleinunternehmer möchte man da nicht reingeraten.»



Im Schnitt drei Jahre Verfahrensdauer

Die Wettbewerbskommission mit Sitz in Bern soll Missbräuche und Absprachen bekämpfen. Sie wurde 1996 als Nachfolgerin der Kartellkommission geschaffen. Allerdings dauern die Untersuchungen mit durchschnittlich mehr als drei Jahren aus Sicht von Kritikern viel zu lange, nehmen oft die Falschen ins Visier und nutzen zudem teilweise fragwürdige Methoden. So werden betroffene Unternehmen mit unverhältnismässigen Methoden eingeschüchtert und ihre Wettbewerbsfähigkeit und Reputation für eine längere Dauer stark beeinträchtigt, auch wenn offiziell die Unschuldsvermutung gilt. Zusammenschlüsse kleiner Unternehmen, die sich so gegen die grossen Konkurrenten behaupten wollen, gelten schnell als «wettbewerbsfeindliche Absprachen» und werden dann unterbunden.


Auch Medina Arnold hat das Weko-Verfahren gegen die Lieferanten verunsichert und ein wenig eingeschüchtert, obwohl es sie gar nicht direkt betraf: «Darf ich zum Beispiel mit meiner Kollegin, die mich bei meiner Selbstständigkeit unterstützt hat und selbst auch einen Salon betreibt, über realistische Preise und effektive Werbeformate sprechen – oder ist das schon eine verbotene Absprache?» Eigentlich wollte sie auch deren AGB-Text einfach übernehmen, weil sie praktisch die gleichen Leistungen anbieten, entschied sich nun aber aus Sorge dagegen. «Ich habe sie von einem Anwalt neu erstellen lassen und natürlich dafür bezahlt, auch wenn das Ergebnis fast identisch ist. Besonders effektiv ist das nicht; das Geld hätte ich woanders sinnvoller investieren können.»



Immer wieder den Kundenwünschen angepasst


Seit der Eröffnung ihres Salons hat Medina Arnold ihr Angebot immer wieder angepasst. «Ich muss natürlich wissen, welche Trends gerade auf Instagram oder TikTok aktuell sind. Denn bald fragen auch meine Kundinnen nach dem Haarschnitt bestimmter Stars oder nach modernen Färbetechniken wie Balayage, Painting oder Glossing.» Nach mehreren heissen Sommern liess sie eine Klimaanlage einbauen, damit der Besuch auch in dieser Jahreszeit angenehm ist. Als sich zeigte, dass sich viele Berufstätige ihre Termine lieber in Ruhe abends – nach Feierabend – buchen und flexibel ändern wollen, liess sie auf ihrer Webseite ein modernes Online-System für die Terminreservierung integrieren.


«Wir Unternehmer müssen immer flexibel sein, schnell auf veränderte Umstände und Wünsche reagieren und dabei immer auf die Kosten achten», sagt Medina Arnold. «In der Politik und bei den Behörden vermisse ich dieses Denken manchmal. Da wird häufig zu sehr auf Formalitäten beharrt, die zwar nicht falsch sind, aber eben auch nicht den Realitäten des Lebens entsprechen.» Sie hofft auf ein Umdenken in Bern: «Natürlich müssen Missstände bekämpft werden. Aber gerade kleine und mittlere Unternehmen haben es jetzt schon nicht leicht. Man muss es ihnen nicht absichtlich noch schwerer machen.»

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